Ich habe diesen Dienstag eine eine traurige Nachricht erhalten.
Eine Freundin, die Mutter der Cousine meiner Tochter, hat sich das Leben genommen. Was uns, die wir weit entfernt leben und sie lange nicht mehr gesehen haben, wie ein Schlag getroffen hat, war auch für ihre Verwandten und Freunde vor Ort völlig unerwartet. Ein äußerlich gut funktionierendes Leben an der holländischen Küste, eingebunden in einen lebhaften Freundeskreis, ein guter Job, ein liebevoller Partner, eine begabte Tochter, fröhliche Posts auf Facebook …
Wenn ein Mensch, den man kennt, so aus dem Leben geht, bleiben Freunde und Angehörige mit vielen quälenden Fragen zurück: Warum? Hätte ich etwas merken müssen? Hätte sie doch darüber gesprochen. Es hätte doch sicher einen anderen Weg gegeben. Hätte ich etwas tun können? Fragen, die wir nicht beantworten können. Hilflosigkeit angesichts von Tatsachen, die sich nicht mehr ändern lassen.
Wie wenig wissen doch, wie es in einem Menschen wirklich aussieht!
Und wie wenig können wir von Außen nach Innen schließen!
In Großbritannien beginnt diese Woche eine landesweite „Mental Health Awareness Week“. Sie soll in den Fokus bringen, worüber viele Menschen immer noch nicht gern sprechen: Psychische Leiden, psychische Gesundheit. Im Internet kursierte vor Kurzem das Video eines Gesprächs zwischen Prinz William und Lady Gaga, das ihr vielleicht auch gesehen habt und das viele Menschen beeindruckt hat. In dem Video dankte Prinz William Lady Gaga für ihren Mut einen Brief zu veröffentlichen, in welchem sie offen über ihre sehr persönlichen Gefühle von lähmender Traurigkeit, Angst und Scham sprach. Sie sagte, was ihr am meisten geholfen habe, sei darüber zu sprechen und die Menschen wissen zu lassen, dass sie nicht allein sind, wenn sie sich in ihrem Geist nicht gesund fühlen, und dass auch Menschen, von denen Du es nie denken würdest, solche Probleme haben.
Die Botschaft ist einfach: Sprich darüber, wenn es Dir mental nicht gut geht, es ist nichts, weshalb Du Dich schämen mußt. Sprechen hilft. Du bist nicht allein damit!
Sprechen ist eine wichtige Sache. Die andere wichtige ist Zuhören.
Und Zuhören möchte ich heute hier in den Fokus bringen.
Zuhören als eine Fähikgeit, die wir scheinbar verlernt haben, die in unserem geschäftigen schnellen Alltag und dem allgegenwärtigen Geschwätz unserer eigenen Gedanken viel zu kurz kommt.
Wann hast Du das letzte Mal einem Menschen wirklich zugehört?
Und ehrlich, ich bin da keine Ausnahme. Ich habe zwar mein Zuhören immer mehr verbessert, und es ist in meiner Arbeit ein wesentlicher Faktor. Doch privat ertappe auch ich mich regelmäßig dabei, im Gespräch mit einem meiner Kinder gedanklich schon den nächsten Tag zu planen oder einem Freund impulsiv mit meiner Idee zur Sache ins Wort zu fallen. Unser Geist ist immer rege und will immer etwas sagen, und auch ich muß mich immer mal wieder selbst daran erinnern, meine Aufmerksamkeit weg vom inneren Dialog auf mein Gegenüber zu richten.
Wirklich zuhören, ohne bereits in unserem Kopf nach passenden Antworten, tröstenden Worten und hilfreichen Lösungen zu suchen. Wirklich zuhören, ohne seine eigenen Gedanken dabei zu scannen. Wirklich zuhören, ohne mit seiner eigenen Geschichte aufwarten zu wollen. Wirklich zuhören, ohne eigentlich mit sich selbst beschäftigt zu sein. Wirklich zuhören, ohne bereits innerlich seinen Kommentar zu formulieren. Wirklich zuhören, ohne das Gesagte mit seinen eigenen Erfahrungen abzugleichen. Wirklich zuhören, ohne das Gesagte zu bewerten.
Aus dem weniger tun, weniger den eigenen Gedanken und Impulsen nachgegen, wird ein mehr: Ein mehr an Verbindung.
Einfach zuhören ist kraftvoll, einfach präsent sein hat größere Wirkung als der wohl gemeinteste Rat.
Einfach zuhören, nicht mit unserem Intellekt, sondern mit Herz und Seele, von dem stillen Platz in uns. Von dem Platz jenseits des Geschwätz unseres Geistes, jenseits unseres auf das Lösen von Problemen ausgelegten Verstands.
Wenn wir einem anderen Menschen einfach nur tief zuhören, ganz bei ihm sind, entsteht Verbindung. Diese Verbindung spüren wir.
Wir denken oft, um mit einem anderen Menschen verbunden zu sein, müssen wir ihn verstehen, müssen wir das, was er sagt, durch unseren eigenen Geist zu filtern um es für uns nachvollziehen zu können. Das ist nicht so. Verbindung erzeugen wir nicht durch Intellekt. Verbindung ist tiefer. Verbindung ist, einen anderen Menschen in dem Raum zu berühren, der jenseits unseres Denkens liegt. Von dem stillen Platz aus, aus dem unser natürliches Wohlbefinden liegt und Weisheit uns die Antworten gibt, die wir durch Nachdenken nicht finden. Wir laden den anderen in diesen stillen Raum ein, einfach durch unser ruhiges Zuhören, unsere ruhige Präsenz. Oft findet dadurch auch unser Gegenüber wieder zurück zu diesem stillen, heilenden Platz in sich selbst.
Im Rahmen der „Mental Health Awareness Week“ haben Freunde aus England, die wie ich nach dem Inside-Out-Veständnis als Coaches, Therapeuten und Berater arbeiten, eine Aktion gestartet, wo sie in lokalen Cafes und anderen öffentlichen Plätzen genau das den Menschen anbieten: Zuhören. Zuhören und Ankommen.
Das hat mich inspiriert Euch das für diese Woche als ein privates Projekt vorzuschlagen: Eine Woche des bewußten Zuhörens.
Deinem Freund, Deiner Freundin, Deinem Partner oder Partnerin, Deinen Kindern, Deinen Eltern, Deinem Nachbarn, Deinem Arbeitskollegen – oder einem Fremden, der gerade Deinen Lebensweg kreuzt.
Ich wünsche Dir und Deinen Zuhörern viele schöne, bereichernde Zuhör-Erlebnisse.
Rückmeldungen und Kommentare willkommen!
Alles Liebe, Doerthe